Neues aus Casa de la mujer – Dezember 2021

von Sabine Eßmann

Auf politischer und institutioneller Ebene ist die Gleichberechtigung von Frauen und ihre Teilhabe an öffentlichen Ämtern längst eine Selbstverständlichkeit in Nicaragua. Im März 2021 wurde sogar ein neues Schulfach eingeführt: Kinder sollen in den öffentlichen Schulen künftig die „Rechte und Würde der Frauen“ kennenlernen, um die Achtung
der Frauenrechte zu fördern und so sexueller Belästigung, Misshandlung und Sexualverbrechen vorzubeugen.

Aufgrund der Covid-Pandemie erhalten jedoch derzeit viele Kinder in Privatschulen online-Unterricht. In den staatlichen Schulen findet zwar offiziell Präsenzunterricht statt, ein großer Teil der Kinder nimmt aber aus Angst vor Ansteckung nicht regelmäßig daran teil. Deshalb ist dieses Vorhaben wohl erstmal Theorie. „Ein sehr interessantes Projekt“, findet Erika, die Leiterin des Frauenzentrums. „Es ist wichtig, dass dies in Schulen thematisiert wird. Aber die Umsetzung ist bislang sehr oberflächlich und hängt stark von der jeweiligen Lehrkraft ab.“

Darüberhinaus gibt es derzeit leider wenig Aktivitäten zur Förderung der Frauenrechte, meinen die Mitarbeiterinnen des Frauenzentrums, weder von staatlicher Seite noch von
Frauenorganisationen. Angst vor Repression und der Rückgang der internationalen Kooperation haben leider zu einer Verringerung der Projekte zur Gewaltprävention
geführt. Die reale Situation vieler Frauen, insbesondere auf dem Land und vor allem in den ärmeren Schichten, hat sich in der letzten Zeit verschlechtert. Die Spaltung der Gesellschaft, die sich im Vorfeld der Wahlen noch verschärfte, die allgemein unsichere politische Situation, die Unklarheit darüber, welchen Weg das Land einschlagen wird, die Pandemie und die schwierige Wirtschaftslage führen zu einem Klima der Verunsicherung und Angst. Der Rückgang der Produktion in der Freihandelszone bei El Viejo, einem wichtigen Arbeitgeber der Region, hat zu Einkommensverlusten und höherer Arbeitslosigkeit geführt. Die Migration nimmt wieder zu, mit der Folge, dass Familien zerfallen, worunter die Kinder am meisten leiden.

Dies alles spüren wir im Frauenzentrum, schreibt Kenia, die Rechtsanwältin. Die Zahl der Frauen, die sich an uns wenden, um Unterhalt einzuklagen, hat zugenommen,
ebenso die Fälle von Kindesmissbrauch. Ein Beispiel: Die sechsjährige M.J. ist ein ängstliches Kind, das häufig traurig wirkt und sich zurückzieht. Im Kindergarten hat
sie Probleme, sich in die Gruppe zu integrieren. Zudem schläft sie oft schlecht. Sie lebt bei der Mutter, ist aber, wenn diese arbeitet, oft bei ihrem Onkel. Die Familie ist aus ärmsten Verhältnissen und lebt auf dem Land. Als sie eines Tages ihrer Oma beim Waschen über
Schmerzen an der Scheide berichtet, wird diese hellhörig. Sie bringt das Mädchen zur Psychologin ins Frauenzentrum. Nach einer Untersuchung stellt sich heraus, dass der
Onkel das Kind missbraucht hat. Auch ihre Cousinen würde er anfassen, berichtet die Kleine. Im Frauenzentrum kümmern sich Psychologin Orfa Prado und Rechtsanwältin Kenia Ubilla jetzt um den Fall. Sie halfen der Mutter bei der Erstattung der Anzeige und begleiten sie bei weiteren notwendigen Schritten. Der Onkel ist allerdings unterdessen vor der Justiz geflüchtet. Das Kind und weitere Familienmitglieder werden von der Psychologin betreut.
Neben den individuellen Beratungen bietet das Frauenzentrum Näh-, Konditor-, und Frisierkurse an. Diese werden seit diesem Jahr mit workshops zu Frauenrechten kombiniert. „Für die Mehrzahl der Frauen war es eine neue Erfahrung, das Thema Frauenrechte mit Themen wie Selbstwertgefühl oder Achtsamkeit in Verbindung
zu bringen“, schreibt Kenia Ubilla. Meist wird ein kurzes Video als Einstieg gezeigt, um dann über Themen wie „Formen der Gewalt“, „Selbstachtung“, „Umgang mit Gefühlen“ oder „Wege der Anklageerhebung“ ins Gespräch zu kommen. Die Frauen bringen ihre Erfahrungen ein und in der Gruppe wird das Bewusstsein darüber gestärkt, wie wichtig es ist, Gewalt nicht zu verschweigen und genau hinzuschauen. Ziel der Kurse ist es, den Frauen ein Einkommen zu ermöglichen – ein weiterer Baustein zur Durchsetzung ihrer Rechte.

Angebote des Frauenzentrums:
• kostenlose Rechtsberatung und anwaltliche Unterstützung
• Psychologische Beratung und Hilfe
• Gynäkologische Untersuchungen
• Näh-, Frisier- und Back-Kurse und workshops zu Frauenrechten

Die Gehälter der Rechtsanwältin, der Psychologin und der Gynäkologin werden vom Nicaragua-Forum Heidelberg finanziert, auch die Kursleiterinnen erhalten eine
Unterstützung. Die Leiterin wird vom Mannheimer Nicaraguaverein zur Förderung der Städtepartnerschaft El Viejo finanziert.
Bitte helfen Sie mit Ihrer Spende, die Arbeit des Frauenzentrums weiter zu unterstützen.

Dieser Beitrag ist ursprünglich im „Nicaragua Aktuell Dezember 2021“ von Nicaragua Forum Heidelberg erschienen. Ab S. 16 Verfasst von Sabine Eßmann.