Neues aus dem Frauenzentrum in El Viejo

Ein Bild von einem kleinen Mädchen mit dem Schriftzug: „Kinder dürfen nicht angerührt werden, nicht vergewaltigt werden, nicht ermordet werden“ – dieser Aufschrei ging nach dem Mord an zwei 10 und 12-Jährigen Mädchen in Mulukuku Mitte September durch die sozialen Medien Nicaraguas, dem sich auch die Mitarbeiterinnen des Frauenzentrums anschlossen. Eine traurige Realität, sagt Kenia, die Rechtsanwältin des Frauenzentrums, mit dem Frauen und Mädchen täglich konfrontiert sind. Sie beklagt die Schutzlosigkeit vieler Frauen und Mädchen, die in der derzeitigen Situation, in der die Menschen seltener das Haus verlassen, noch schlimmer ist.

Wir dürfen nicht zulassen, dass in der momentanen Krise Frauenrechte in den Hintergrund geraten, meint Erika Solís, die Leiterin des Frauenzentrums. Zur Covid-Pandemie kommt jetzt noch Hurrikan Eta, bei dem uns zwar nur die Ausläufer erwischt haben, aber auch das hat durch tagelangen Regen zu Überschwemmungen geführt. In der Regenzeit haben Krankheiten wie Dengue-Fieber wieder zugenommen.

Natürlich können wir zur Zeit keine Demonstrationen durchführen, das wäre unverantwortlich. Aber in sozialen Netzwerken und mit Plakaten bei uns im Frauenzentrum sowie den zahlreichen Gesprächen mit den Besucherinnen weisen wir immer wieder darauf hin, dass es Gesetze gibt, die uns schützen sollen und dass Täter bestraft werden müssen, damit es nicht zu weiteren Taten kommt.

In ihrer täglichen Arbeit bedeutet das für die Mitarbeiterinnen des Frauenzentrums, Frauen zu ermutigen, Gewalttaten zur Anzeige zu bringen und sensibel für mögliche Anzeichen des Missbrauchs bei ihren Kindern zu sein.

Viele Familien sind hier in besonderer Weise von der Pandemie betroffen, berichtet Rechtsanwältin Kenia Ubilla. Die wirtschaftliche Lage hat sich extrem verschärft. Ein wichtiger Arbeitgeber der Region, die Autoteilefabrik Arneccón, hatte vier Monate die Produktion gestoppt  – wegen der zeitweiligen Grenzschließung waren die Zufuhr von Teilen und der Export unterbrochen. Jetzt wurde der Betrieb zwar wieder aufgenommen, aber ein Teil der Beschäftigten wurde entlassen, ein Teil nur noch zu 50% beschäftigt. Hinzu kommt, dass die Auslandsüberweisungen stark zurückgingen. Viele Menschen sehen keine Perspektive, das Gefühl von Unsicherheit wächst.

Wir sehen die Auswirkungen daran, dass die Zahl der Frauen, die Unterhalt einklagen zugenommen hat, so die Rechtsanwältin. Allerdings kommt es immer häufiger vor, dass der Unterhaltspflichtige nicht zahlen kann. Natürlich können wir keine Jobs vermitteln, aber manchmal erfahren wir von Gelegenheitsjobs und können Tipps geben. Oder wir suchen andere Lösungen, und es wird in Naturalien gezahlt.

Kinder beim Mittagessen in der Vorschulgruppe des Frauenhaues

Während zunächst aus Angst vor Ansteckung eher weniger BesucherInnen ins Frauenzentrum kamen, hat mit dem Rückgang der Infektionszahlen in Nicaragua die Nachfrage nach den Beratungsangeboten wieder zugenommen.

Die Psychologin Orfa Prado hat derzeit einige Patientinnen in Behandlung, die aufgrund der Ansteckungsgefahren unter Angstzuständen leiden, aber auch solche, die nach überstandener Covid19-Erkrankung an Folgesymptomen wie Depression, Schwäche, Kopfschmerzen oder Antriebslosigkeit leiden. Und nicht nur Gewalt in Partnerschaften ist ein Thema:

Der 25-jährige Marihuana-Konsument J war wieder zu seiner Mutter gezogen, nachdem er im Haus der Großeltern fast einen Brand ausgelöst hatte. Die arbeitslose Mutter, die sich mit dem Verkaufen von Getränken über Wasser hält, verzweifelte an seiner Lethargie, der Weigerung, ihr zu helfen und gelegentlichen Wutausbrüchen, die in verbalen und physischen Angriffen mündeten. Seit April ist er in Behandlung bei Orfa Prado, und es ist ihr mit verschiedenen Therapiemethoden gelungen, ihn zu mehr Selbstreflexion zu bewegen und seine Impulse besser kontrollieren zu lernen. Der letzte Drogentest verlief negativ und auch die Beziehung zu seiner Mutter hat sich deutlich verbessert.

Viele Jahre war die Vorschule ein wichtiger Baustein im Bildungsangebot des Frauenzentrums. Schon vor einigen Jahren wurde sie formell der Grundschule des Stadtviertels zugeordnet, konnte aber bislang vom Frauenzentrum in den eigenen Räumen betrieben werden. Im August beschloss nun das Bildungsministerium, die Vorschule in die Räumlichkeiten der Grundschule zu verlegen – ein schwerer Schlag für das Frauenzentrum, auch wenn seit Beginn der Corona-Pandemie wenig Kinder kamen.

Die Mitarbeiterinnen des Frauenzentrums halten natürlich ihre Beratungsangebote für die Eltern aufrecht und stehen mit vielen Müttern und Vätern weiter in Kontakt.

Beratungen und Sprechstunde im Frauenhaus – Bild aus Zeiten vor Corona

Die Näh- und Backkurse können derzeit nicht durchgeführt werden. Falls es die Infektionszahlen erlauben, sollen sie im Januar wieder beginnen. Stattdessen gab es Anfang November in Kooperation mit dem staatlichen Ausbildungsinstitut INATEC einen Kochkurs – um die Abstandsregeln einzuhalten mit mehr Theorie und weniger Praxis, aber dennoch mit einem Zertifikat, das es den TeilnehmerInnen erlaubt, Essen öffentlich zu verkaufen.

Das Frauenzentrum bietet kostenlose Rechstberatung und Psychologische Behandlung an. Daneben hält die Frauenärztin regelmäßige Sprechstunden ab.

Die Gehälter für die Gynäkologin, die Psychologin und die Rechtsanwältin werden vom Nicaragua Forum Heidelberg finanziert, die Stelle der Leiterin wird vom Nicaraguaverein Mannheim-El-Viejo bezahlt.

Bitte helfen Sie mit Ihrer Spende, die Arbeit weiter zu ermöglichen.

Dieser Beitrag ist ursprünglich im „Nicaragua aktuell“, Dezember 2020, Nicaragua Forum erschienen. Verfasst von Sabine Eßmann.

Mehr Info: https://www.nicaragua-forum.de/nica-aktuell/nica-aktuell-02-20-web.pdf